Mein genetischer Cocktail
Vor einem Monat habe ich einen DNA-Test gemacht, um meine ethnische Herkunft zu bestimmen. Der reguläre Preis für eine solche Analyse liegt bei etwa 100 Euro, aber mit einem Rabatt habe ich nur 30 bezahlt. Während ich dies schreibe, ist das Angebot bei MyHeritage immer noch gültig.
Ein lächerlicher Preis für das Recht zu erfahren, ob ich eine zitternde Kreatur bin oder das Recht habe.
Einen EU-Pass habe ich zwar schon, aber was ist das schon – ein bloßes Stück Papier. Hier aber geht es um eine tausendjährige Geschichte, von der Natur in eine Nukleotidkette gefaltet und von einem gleichgültigen Laboranten wieder auf Papier entfaltet. Was könnte besser sein!
Eigentlich so einiges. Aber wenn man schon mal angefangen hat…
Mein Vater ist Russe: Aus der Vergangenheit blicken uns die Sidorows und Erschows mit gütigen slawischen Augen an. Mütterlicherseits mustern uns die deutschen Kochs und Propps mit ernstem Blick. Theoretisch bin ich also halb Osteuropäer und halb Westeuropäer. Natürlich gibt es so etwas in der Realität nicht, und am meisten war ich gespannt darauf, welche interessanten und unerwarteten Zutaten sich in meinen DNA-Cocktail gemischt hatten. Gab es unter meinen Vorvätern (und Vormüttern) Roma, Hexen und Vampire?

- Osteuropäer – 49,0 %
- Balte – 20,9 %
- Germane – 16,1 %
- Däne – 3,1 %
- Balkanbewohner – 2,6 %
- Franzose – 2,6 %
- Norditaliener – 1,7 %
- Niederländer – 1,6 %
- Grieche und Albaner – 1,3 %
- Schwede – 1,1 %
Ein sehr interessantes Ergebnis, ich muss schon sagen. Jetzt verstehe ich meinen unterbewussten Wunsch, Sören heißen zu wollen: Die Minderheitsaktionäre, Däne und Schwede (zusammen 4,2 %), haben ihr Mitspracherecht eingefordert.
Mit den Osteuropäern ist alles klar – ein Sidorow bleibt ein Sidorow, selbst in Afrika. Dass ich Deutscher bin, wusste ich bereits. Die Balten – das sind die Prußen, die in Königsberg und Umgebung lebten, bis sie von den Deutschen kolonialisiert wurden (also quasi auch Deutsche).
Der Grieche und der Albaner… Das sind einfach die ganz Flinken. In jedem Menschen – wenn nicht genetisch, so doch metaphysisch – steckt ein kleiner Grieche und ein kleiner Albaner.
Der Franzose… Ich nehme an, es war eher eine Französin – eine Hexe, die vor den Scheiterhaufen der Inquisition in den Nordosten floh, wo sie den Niederländer traf. Für ihre Verfolgung schuldet man mir jetzt einen Rabatt von 2,6 % auf jeden französischen Wein. Hier, ich hab’s schriftlich, sehen Sie selbst. Seien Sie froh, dass es nur 2,6 sind.
Der Norditaliener – natürlich bin ich seit meiner Kindheit Fan von Juventus Turin. Jetzt ist klar, warum.
Ich muss gestehen, ich habe den Balkanbewohner in mir noch nie gespürt. Aber vielleicht erwacht er ja, wenn man auf die Fünfzig zugeht? (Und der Erste Weltkrieg beginnt).
Weiter als bis nach Frankreich sind meine Vorfahren nicht gekommen. In mir steckt kein spanisches oder portugiesisches Blut, ebenso 0 % englisches und jüdisches, was, ehrlich gesagt, etwas schade ist. Ich hatte gehofft, dass diese beiden talentierten Nationen zumindest ein wenig am Prozess beteiligt waren. Aber nein. Andererseits kann man das ja korrigieren: wenn nicht bei sich selbst, dann in der eigenen Fortsetzung. Wäre es nicht an der Zeit, sich auf den Weg nach Albion zu machen, auf der Suche nach einer schönen, klugen, gebildeten Jüdin aus gutem Hause, deren Papa ein Lord ist und den Mädchennamen der Mutter niemand jemals erwähnt?
P.S.
Ein Freund aus Russland fragte, ob man so einen Test auch in Russland machen kann. Früher ging das definitiv, wie es heute aussieht, weiß ich nicht. Aber sicher gibt es im Rahmen der Importsubstitution irgendeinen russischen Dienst, bei dem man die Analyse ebenfalls machen kann. Das Ergebnis ist immer dasselbe: Man ist zu 100 % Russe, kerngesund (Wehrdiensttauglichkeitsgrad T1) und erhält einen Einberufungsbefehl.