Sören Erschau

Die Kunst der Anpassung

Es gibt da dieses witzige Meme über die „Sieben Todsünden“ eines Bewerbers: Kommunikationsstärke, Stressresistenz, Ergebnisorientierung und so weiter. In Wahrheit will das Unternehmen von dir aber nur eines: Anpassungsfähigkeit. Oder ist es Anpassbarkeit? Du verstehst den Unterschied, nicht wahr? Lassen wir dieses Verständnis unser kleines Geheimnis sein. Sich anpassen zu können – das ist das einzig wahre Paradigma.

Und da stehst du: gut aussehend, klug, anpassungsfähig, oder besser gesagt, sich anpassend, oder am allerbesten, bereits angepasst (obwohl es natürlich noch verdammt viel in dir zu adaptieren gibt), und verbuchst genüsslich die eroberten Stellungen. Du bist Wasser. Du nimmst die Form von allem an, worin dich jene gießen, die sich noch besser angepasst haben. Mittags bist du das Wasser in der Suppenschüssel, aus der dein Chef isst; und wenn du Account Manager bist, schlürft auch der Kunde daran. Abends bist du das Wasser in der Blumenvase mit den Rosen deines Verehrers. Morgens bist du Wasser in… ach, du Scheiße, lassen wir das lieber.

Für dich gibt es keine Hindernisse, du schaffst alles. Du arbeitest sogar in einer Agentur!! Wenn es sein muss, nimmst du sogar die Form eines Scheißhaufens an; aber du kennst deinen Wert. Die HR-Leute lieben dich. Du hast dich an das durchgeknallte Streifenhörnchen gewöhnt, das – oder besser gesagt, die – in deinem Open Space aufgetaucht ist. Du arbeitest mit dem, was da ist. Ein Streifenhörnchen? Na und, es war schon schlimmer.

Rap aus jedem Lautsprecher? Hören wir mal rein, vielleicht ist ja was dran, suchen wir nach dem tieferen Sinn, irgendwas wird sich schon finden lassen.

Im Winter keine Sonne? Ach was, du erfüllst deine KPIs sogar in einem Bergwerk. Du lebst sogar im Bergwerk. Du zeugst dort sogar Kinder, wenn es sein muss. Was heißt Kinder, du programmierst im Bergwerk sogar in Python. Und das besser als viele andere.

Selbst wenn du mal auf die Schnauze fällst, passiert nichts Schlimmes. Was soll schon mit Wasser passieren? Wenn Wasser fällt, entsteht ein Wasserfall. Auf seine Art sehr schön.

Auf deine Art bist du wirklich klasse. Auf deine Art klug. Gütig – auf deine Art. Na ja, nicht schlecht, eigentlich. Ein Held unserer Zeit. Ein sehr gefragter Charakter. Deine Soft Skills gehen durch die Decke, sie schweben irgendwo da oben am Himmel, von wo das Wasser gerade erst herabgefallen ist.

Na ja, Gott schütze dich, wie man so schön sagt.

Meine Philosophie-Professorin sagte vor fünfzehn Jahren, wenn man klug erscheinen will, solle man beiläufig das Wort „Paradigma“ verwenden (und genau das habe ich getan, siehe erster Absatz). Klüger als das ist nur Schweigen. Aber Schweigen ist ein schwieriges Paradigma.