Sören Erschau

Warum 10 Euro über Sex entscheiden

Wenn man eine Frau zum Abendessen nach Hause einlädt, wie lange gehört es sich eigentlich, zu Abend zu essen, bevor man zum Dessert übergeht? Ich verstehe, dass die Meinungen hier, sagen wir mal, auseinandergehen, also werfen wir sie doch einfach mal in den Raum.

(Unsere Helden hatten noch nichts miteinander, nur Küsse. Heute soll der nächste Schritt folgen.)

Ich schätze mal, anderthalb Stunden. Genug Zeit, um eineinhalb Flaschen Chianti zu leeren und dazu das nicht ganz durchgegarte Hähnchen mit Äpfeln zu essen. Weil er Angst hatte, dass das Hähnchen, wie in einem schlechten Film, verbrennt, hat er am Ende… Hähnchen rare. Die Äpfel sind auch nicht durch, sie knirschen sogar noch.

Knacks.

Musik – wahrscheinlich ein bisschen Jazz, oder? Wir sind ja keine Tiere, sondern zivilisierte Menschen. Da unser Held im normalen Leben keinen Jazz hört und Miles Davis für ihn wahrscheinlich ein Basketballspieler aus dem ersten NBA-Draft-Pick ist, hat er einfach eine Jazz-Playlist auf YouTube angemacht. Das Abo für YouTube Premium hatte er natürlich nicht. Oder – ich weiß gar nicht, was peinlicher ist – er hatte eins, hat aber vergessen, sich einzuloggen, der AdBlocker hat versagt, er war im Inkognito-Modus, kurz gesagt: Es passierte das Schrecklichste. Es kam Werbung. Mitten im Akt der Verführung. Sagen wir, MediaMarkt-Werbung. Oder die eines Zahnarztes. Ja, genau, das ist noch besser, denn Zahnarzt-Werbung ist der Gipfel kreativen Schaffens; Gott segne alle, die sie erfinden.

Und wir wissen nicht, warum, aber Zahnarzt-Werbung senkt garantiert die Libido.

Sie zieht sich an. Wir verstehen, dass heute nichts mehr passiert. Bevor sie geht, küsst sie Gernot und flüstert ihm ins Ohr: „Das Abo kostet nur 10 Euro.“

Die Zeit vergeht, zweites Date, das Hähnchen ist gelungen, die Äpfel knirschen nicht, Leidenschaft, nasse Laken, Heidi schreit, unser Held lächelt. Es läuft Bryan Ferry. Auf dem schwarzen Bildschirm von Gernots Handy leuchtet das Spotify-Logo.