Sören Erschau

Warm, aber gelogen

Ich habe eine sehr lebhafte Kindheitserinnerung.

Ich muss so acht oder neun gewesen sein – zweite oder dritte Klasse. Der Sommer beginnt, ich fahre auf meinem alten Drahtesel durch das ganze Dorf, hinter den Friedhof, um für Mama Maiglöckchen zu pflücken. Dazu läuft der Song „Maria“ von Blondie. Als ich zurückkomme, schimpft Mama mit mir, weil ich Blumen von der Roten Liste gepflückt habe – aber die Erinnerung ist trotzdem schön.

Mit dieser Erinnerung gibt es ein paar Probleme.

  1. Meine Mutter erinnert sich nicht an diese Geschichte.

  2. Wenn ich in der dritten Klasse bin, schreiben wir das Jahr 1992. In unserem Dorf konnte es ’92 unmöglich Player geben – nur Tonbandgeräte mit Kopfhörern, die den halben Schädel bedeckten.

  3. Die Band Blondie hat den Song „Maria“ 1999 veröffentlicht. In dem Jahr habe ich gerade die Schule abgeschlossen.

Man sagt „Er lügt wie ein Augenzeuge“ – in diesem Fall gilt das offensichtlich für mich. Aber die Erinnerung fühlt sich absolut real an.

Ich glaube, viele von euch haben solche falschen, aber warmen Erinnerungen. Ich würde mich freuen, davon zu lesen.